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Ein Hoch auf die Verschmelzung von Kulturen

Viele von uns wachsen mit der Vorstellung auf, dass wir ein Volk sind, aus einem Guss, das schon immer so war, und auch immer so bleiben wird. Dass wir diese eigene Kultur bewahren sollten und fremde Kulturen sich anpassen müssten. Die Vorstellung geht von einem „entweder oder“ aus. Dabei sind wir Deutschen so bunt und vielfältig, schon immer gewesen.


Wenn man auf die Mikroebene geht und hineinzoomt in einen beliebigen Menschen, vielleicht ja sogar in dich, und dessen Vorfahren und Geschichte genauer anschaut, stellt man höchstwahrscheinlich unterschiedliche Einflüsse und Herkünfte, ja Identitäten fest, die jeden einzelnen von uns aus- und einzigartig machen. Wir alle tragen das Erbe, die Geschichte, die Erfahrungen, den Schmerz, die Freude, die Angst, die Wut – das geballte Leben – unzähliger Generationen vor uns in unseren Genen. In unseren Zellen. In unseren Körpern. Wer es nicht glauben will, braucht nur einen Gentest machen und sich von der eigenen Abstammung überraschen zu lassen. Been there, done that – es ist wahnsinnig faszinierend!


Wir sind das Ergebnis unserer Gene in Kombination mit den Erfahrungen, die wir machen (und wie wir diese bewerten) und Einflüssen unserer sozialen Interaktionen, Freundschaften und Beziehungen. Man könnte also sagen, dass wir niemals nur wir selbst sind, sondern auch unsere Umwelt in unseren Gedanken, Worten und Taten widerspiegeln. Ich finde das wunderbar. Wir können uns von unseren Freunden, Kollegen und Bekannten, ja sogar über Bücher und soziale Medien von anderen Menschen inspirieren lassen und uns geistig mit ihnen verbinden. All diese Einflüsse und Verbindungen können uns im besten Falle bereichern und ergänzen. Besonders in Freundschaften und Beziehungen, aber z.b. auch im Arbeitsalltag entsteht erst durch die enge Verbindung und den Austausch etwas Neues: neue Ideen, Freude, Perspektivwechsel.


Warum sollte also die Verschmelzung von Kulturen nicht etwas Fruchtbares, Positives sein, an dessen Ende Gewinn und nicht Verlust steht? Es gibt unzählige Beispiele dafür. Ich möchte hier eines nennen, das die Entstehung des Yoga betrifft. Um ca. 2000 vor Christus migrierte das sich selbst als „Arya“ (Arier) – was „edel“ bedeutet – bezeichnende, elementare Mystik praktizierende Volk über den Hindukusch in das Tal des Flusses Indu. Dort fand es ein jahrtausendealtes Volk vor, dass in Bezug auf Technik und Handel schon sehr weit entwickelt war. Aus der Vermischung dieser beiden Völker entstand die indische Zivilisation und die textlich überlieferten Ursprünge des Yoga: die Veden und die Upanischaden. Die Veden sind Indiens heilige Schriften, die viele Hymnen und Einsichten der Arier festgehalten haben. Die Upanischaden sind ein Auszug daraus: eine universelle Weisheit in Bezug auf unseren göttlichen Ursprung. Sie wurden anonym als Inspiration und nicht als Anweisung verfasst, von Weisen, denen mehr an der Verbreitung dieses Wissens lag als am eigenen Ruhm. Durch die Upanischaden wird uns Nachfahren vermittelt, dass wir uns unmittelbar mit der göttlichen Quelle verbinden können, dieses Einssein, mit allem, was ist – auch ohne die Vermittlung Dritter wie zum Beispiel Priester oder organisierter Religion. Die Erfahrung der uns innewohnenden Göttlichkeit ist den Upanischaden nach für uns alle zugänglich, und zwar in diesem Leben und nicht erst nach dem Tod.


Wenn das nicht eine fantastische Folge von Migration ist. Ein Hoch auf das „sowohl als auch“, auf die Verschmelzung von Kulturen und all dem Fortschritt, der Inspiration und den tieferen Einsichten, die daraus entstehen!

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